
Im Laufen fließen die Gedanken, so geht es auch uns. Zwei Frauen, die an ganz unterschiedlichen Punkten der Familienphase stehen, die eine mit Vorschulkind, die andere mit erwachsenen Kindern. Die Spaziergänge mit meinem Hund sind für mich Auszeiten. Seine Freude daran, der Frisbee nachzujagen und auf der Wiese mit den anderen Hunden zu toben hebt meine Stimmung, selbst an trüben Tagen. Umso schöner, wenn mich dabei jemand begleitet und Zeit und Gedanken teilt, wie gelegentlich *Susanne Scheer. Sie ist Pädagogin und Coach, ihr Herzensthema ist die Balance zwischen Arbeiten & Leben. Aus unseren Wald- und Wiesen-Gesprächen hat sich dieses Interview entwickelt.
Läuft doch, die Bälle sind im Spiel, alles unter Kontrolle – so scheint es, wenn Partner, Beruf, Kind, Freunde, Hobby und man selbst unter einen Hut gebracht werden sollen. Zum Innehalten bleibt beim Jonglieren keine Zeit: Die Bälle könnten ja herunterfallen, das Spiel unterbrechen, die schöne Fassade von Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Knacks bekommen. Raus aus dem Hamsterrad-Modus – sagt Dr. Susanne Scheer: Inmitten der vielen Bälle muss Platz sein für Austausch, Nachdenken, Kraft tanken. Wie das geht, verrät sie im Interview und in ihren Kursen “Auszeit für mich”, für Familie- und Beruf-Jongleur*innen.
„Auszeit für mich“ heißt dein Kurs. Warum braucht man eigentlich Auszeiten?
Auszeiten sind die Chance, im Alltag innezuhalten und mit sich selbst Verbindung aufzunehmen: Wie geht es mir gerade – im Kopf, Herz und im Körper? Der erste Schritt ist zur Ruhe zu kommen, ganz ohne Leistungsdruck und Ergebnis. Wer sich keine Auszeit gönnt, verliert den Kontakt zu sich selbst.
Der Begriff „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist abgedroschen, aber was macht es denn berufstätigen Eltern so schwer, Leben und Arbeiten sinnvoll und erfüllend zu gestalten?
Berufstätige Eltern mit zahlreichen Doppelbelastungen sind häufig damit beschäftigt, alles irgendwie hinzubekommen. Sie achten oft kaum auf sich selbst, sondern funktionieren und reagieren viel. Dabei kann jeder Mensch nur für andere da sein, wenn er zuerst für sich selbst sorgt. Wenn der Akku leer ist, wird es ein unglaublicher Kraftakt, im Job und in der Familie noch für andere da zu sein und immer so weiter zu machen. Weniges fühlt sich noch schön, lebendig oder leicht an, auch der Kontakt zum Partner, den Kindern oder Kollegen. An diesem Punkt schleicht sich zusätzlich zum Hamsterrad-Modus oft noch das schlechte Gewissen ein, zum Beispiel, dass die Kinder doch nicht so glücklich machen wie erwartet.
„Kinder machen doch nicht so glücklich“
Im ersten Schritt im Kurs geht es darum, erst mal wieder mit sich selbst in Kontakt zu kommen, und sich über diesen Strudel bewusst zu werden. Eine Teilnehmerin sagte so treffend: “Ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin. Woher weiß ich dann, was ich brauche?”
Du nutzt das Wort „jonglieren“, das klingt vergnüglich. Es fallen aber auch Begriffe wie eingefahrene Muster oder Kontrolle. Was läuft da schief, und was muss da dauerhaft passieren?
Beim Jonglieren – worauf achtest du da besonders? Auf die Bälle, auf viele Dinge gleichzeitig, auf das Außen, auf “alles unter Kontrolle haben”. Aber eben nicht auf dich selbst. Eingefahrene Muster und Glaubenssätze wie “Ich muss es allen recht machen” oder “Es soll perfekt sein“ erschweren das Jonglieren genauso wie unrealistische Erwartungen. Der erste Schritt ist immer, sich über die Situation bewusst zu werden, sie wahrzunehmen. Dann kannst du sie dir genauer anschauen und überlegen: Was brauche ICH eigentlich? Und was passt jetzt gerade? Und wie könnte ich es mir manchmal leichter machen? Und wo laufen in meinem Leben die Dinge anders als gedacht – und es ist (trotzdem) gut so?
„Mütter jonglieren im Alltag viel mehr Bälle als Väter“
Nicht nur Frauen sind angesprochen, aber es kommen vermutlich vor allem Mütter?
Ja tatsächlich. Ich vermute, dass der Leidensdruck bei Müttern häufig noch größer ist als bei den Vätern. Und dass Frauen damit oft anders umgehen als Männer. Nach der Geburt des ersten Kindes fallen die Paare zum Großteil in die klassische Rollenverteilung Hauptverdiener und Kinderkümmererin in Teilzeit zurück. Mütter jonglieren im Alltag viel mehr Bälle als Väter, und haben dabei oft auch hohe Ansprüche an sich selbst.
Wie ticken Frauen da anders als Männer?
Vielleicht vergleichen sich Frauen noch mehr mit anderen als die Männer – oder auf eine andere Art. Anstatt auf das eigene Lebensmodell zu schauen und zu prüfen, wie es für einen selbst und die Familie passt, wird schnell verglichen und bewertet. So verfestigen sich leicht Bilder der berufstätigen Rabenmütter und der karrierelosen Hausmütterchen und der persönliche Erfolgsdruck steigt, alles richtig zu machen. Es wäre so viel einfacher, auf die Gemeinsamkeiten zu schauen und sich gegenseitig zu stärken. Wir sind es in dieser Gesellschaft nur leider nicht mehr gewöhnt.
Sollte man Menschen auch mal zur Auszeit zwingen?
Eine spannende Frage. In meinem Job als Coach treffe ich oft Leute, die scheinbar wissen, was für andere gut ist und dies gerne verordnen möchten. Wieso denken wir zuerst an andere und nicht an uns selbst? Fange selbst an, so zu leben, wie du es brauchst, damit bewirkst du am meisten. Auch bei den anderen. Über Zwang erreicht man Menschen nur scheinbar. Ich begegne den Menschen auf Augenhöhe und appelliere daran, sich selbst wichtig zu nehmen. Ich gebe Impulse und teile Ideen, aus denen jede/r auswählt und ausprobiert, was für sie oder ihn passt. Woher soll ich wissen, was für andere das Richtige ist? Bei dem Kurs mitzumachen und sich die Zeit zu nehmen, ist schon der erste Schritt für sich zu sorgen. Auch das braucht ein bisschen Mut und den passenden Zeitpunkt.
Kannst du Beispiele aus dem Kurs nennen?
Ja. Das sind fest geplante Ich-Zeiten und Paar-Zeiten im Alltag, in realistische Scheibchen geschnitten. Und einen Babysitter ganz ohne schlechtes Gewissen einzusetzen. Oder auch das: Ein klareres Bild, was machbar ist, und was nicht. Und was jeder selbst braucht. Eine Kursteilnehmerin sagte: “Ich bestimme meine Zeit mehr, bin weniger von anderen getrieben. Ich nehme meine Zeit bewusster wahr.”
*Dr. Susanne Scheer ist Pädagogin und systemisch-transaktionsanalytischer Coach. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Coaching im beruflichen Kontext, insbesondere zu den Themen Innovation sowie Arbeiten & Leben in allen Lebensphasen.
“Auszeit für mich”-Kurs: 8 Abende für berufstätige Eltern, Infos unter susannescheer.de












