Zwischen „Peace“ und „Grüßgott“: Hippies, Journalisten, blutige Heilige und ein Knicks

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Lippenstift und Cohiba – Frauen in den Männerdomänen der 70er Jahre, zum Beispiel im Journalismus. (Detail aus „Zara“ / ZDF-Serie.

“Good Girls Revolt” ist fertig geguckt, die Dramedy-Serie um Rechercheurinnen der New Yorker Newsweek, denen es verboten ist, als Reporterinnen zu arbeiten. Zuvor den deutschen Abklatsch über eine revoltierende Jungreporterin in den 70ern, die ZDF-Produktion “Zara – Wilde Jahre”. Viele Themen dieser verrückten Zeit des Umbruchs klingen vertraut: sexuelle Befreiung, Chauvinismus, §218-Debatte, RAF, Drogen, ungerechte Arbeitsverhältnisse für Frauen, Hammer-Musik.

Wenn dieser Blogbeitrag einen Soundtrack braucht, dann diesen: The Rolling Stones – you can’t always get what you want.

Serien-Produzenten und -Autoren scheinen wilde Hippie-Frauen zu mögen – zumal, wenn sie hübsch sind.

Mein Vater war in dieser Zeit Journalist in unserer Kleinstadt, bei weitem nicht so glamourös wie Hamburg oder New York, er bildete Volontäre aus, smarte Frauen in Mini-Röcken, langhaarige Männer in Zottelmänteln. Die Chefs zogen an ihren Zigarren, die Jungredakteure drehten sich ihre Zigaretten und oft landete Asche in den klappernden schweren Schreibmaschinen. Ich erinnere mich noch an einige der flippigen Reporter, manchen bin ich später als Kollegin wieder begegnet.

Zu meiner Kinderperspektive dieser Epoche gehören noch so viele andere Puzzleteile, die diesen Serien fehlen.

Mein Vater war also Journalist, meine Oma betrieb eine Gärtnerei mit Gemüseladen und meine anderen Großeltern einen Friseursalon in bester Lage. Wir besetzten damit die wichtigsten Kommunikationsschaltzentralen dieser kleinen katholischen Stadt, in der es auch ein bisschen Flower Power gab. Gut, ein Mann im Beichtstuhl hätte noch gefehlt, aber das ist selbst mir zu heilig – mehr als uns Journalisten “unter drei”.

Was Soziologen mühsam und bemüht in Milieustudien erforschen, hatte ich frei Haus. zumindest das, was man als Kind so versteht, wenn sich die Erwachsenen unterhalten – und nur die. Ich wusste, aus welchen Elternhäusern die Radikalen und Revoluzzer unseres kleinen Städtchens kamen und wer mit wem ein Verhältnis hatte.

Streng war diese Zeit trotzdem irgendwie. Wer in der Schule schwätzte, musste in der Ecke stehen, und Kopfnüsse gab es für freche Antworten. Die Hände gehörten auf das Pult, und wer krumm auf der Bank lümmelte, bekam ein Lineal in den Rücken, so war das in meiner Klosterschule – einer reinen Mädchenschule. Dazu gab es aber eine große Portion experimenteller innovativer Lehrmethoden. Wohl deshalb habe ich keine Probleme mit verschleierten Frauen, solange ich Augen und ein Lächeln sehe, und daher kommt vermutlich mein Faible für krasse Kontraste.

In der Knabenschule dagegen unterrichteten Lehrer, denen vieles durchging, denn “sie waren ja im Krieg” gewesen. Einer hatte einen Kopfschuss abgekriegt, zu der Zeit anscheinend ein Freibrief für alles mögliche. Vergangenheitsbewältigung war unreflektiert. Gelegentlich schnappte ich Geschichten über immer noch vermisste Ehemänner oder Söhne auf, über versteckte Gewehre und gelegentlich verklärte Erinnerungen an die Sportfeste der Hitlerjugend und Ausflüge der BDM-Mädel.

Da gab es die Rentner in grauen Mänteln mit Spazierstöcken, die sich jeden Tag am Marktplatz trafen. Dem einen musste man immer die linke Hand reichen – die rechte war eine starre Prothese mit Handschuh, der andere trug eine schwarze Augenklappe über dem Glasauge. Die Mädchen machten einen Knicks, wenn sie jemanden begrüßten. Wer macht heute noch einen Knicks? Außer bei der Queen?

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Alt war man in den 70er Jahren schon früh.

Ältere Frauen – und zu denen zählte man wohl schon mit  Ende 50 – trugen sittsame dunkle Kleider und Hüte, junge Frauen Mini-Röcke oder Hotpants und wallende Mähne. Ich sagte ja schon: Krasse Gegensätze. Für uns Kinder normal, für manchen Erwachsenen skandalös.

(Sorry, ich kann keine Gesichter zeichnen, also ich kann eigentlich überhaupt nicht zeichnen, deshalb nur die Rückansicht!)

Zeichnung - Minirock - Hippie
Hippies und Flowerpower gab es auch in der Strenge der Kleinstadt.

Ich bin in dem Jahr geboren, in dem Mary Quant für ihre sinnliche Kreation im Buckingham Palace mit dem “Order of the British Empire” ausgezeichnet wurde. Wir Kinder hatten damals Sonntagskleider für den Kirchenbesuch. Mein rosafarbenes Samtkleid mit Rüschen habe ich geliebt, und ich wurde oft geschimpft, weil ich es schon beim Frühstück verkleckert hatte.

In dieser Zeit war die Kirche im Umbruch, es war die Zeit nach dem Konzil, neue Gedanken und moderne Musik fluteten über die Altäre und vertrieben zeitweise Weihrauch und Latein. Meine Mutter ging gerne in die Kirche, denn dann passte die Oma auf uns Kinder auf, und sie konnte während der Predigt ihren eigenen Gedanken nachhängen – hoffentlich auch ein paar sündigen.

Parallel gab es die Wunder, die religiösen Fanatiker und Martyrer direkt in meiner Nachbarschaft. Mit Geschichten, die jede Mystery-Fiction-Serie toppen. Neugierde und Lust-Gruseln überkommen mich noch heute, wenn ich an die blutigen Wundmale und heiligen Öle denke. Nichts für schwache atheistische Seelen.

Die Phase der Journalisten-Serien ist vorbei – leider. Jetzt schaue ich “McMafia” – dagegen ist gender pay gap ein Zuckerschlecken: Brutalität, Blutvergießen, Menschenhandel, Drogenschmuggel, daran ist so gar nichts schön, nicht mal die Musik.

Liebe Serien-Junkies: Hat jemand einen guten Serien-Tipp für mich? Denn „Grace und Frankie“ (Start der nächsten Staffel ist am 19. Januar) mit der bezaubernden Jane Fonda (Aerobic waren die 80er – meine Jugend!) und der amüsanten Lily Tomlin, die Comedy-Serie um die beiden abgedrehten Ladies, die die Welt mit ihrer Geschäftsidee – Vibratoren für reife Damen – beglücken wollen, wird schnell fertiggeguckt sein.

Wie Netflix mein Karrierecoach wurde

Ich hatte Zeit. Und keine Freunde, die tagsüber mit mir abhängen könnten, die müssen arbeiten oder Kinder versorgen.

So wurden Harvey (Suits) und Don (Mad Men) meine besten Freunde. Jessica (Suits), Peggy (Mad Men) und Alicia (Good Wife) meine Vorbilder.

Serien als Coaching und Karriere-Impuls?
Netflix als Karrierecoach.

Definitiv hat Netflix meine berufliche Zukunft beeinflusst. Besonders “Mad Men”. Sorry, liebe Personalberater, aber mit Don Draper und Joan Holloway, mit Roger Sterling  und Peggy Olson könnt ihr nicht mithalten. Ich lebe praktisch schon in deren Agentur.

Journalistenfilme treiben Tränen in die Augen

Eigentlich liebe ich Journalistenfilme, aber der versoffene Kollege Daniel Frye aus “The Bridge – America” taugt in meiner Situation nicht wirklich als Orientierungshilfe, “newsroom” dagegen bringt mich zum Weinen – es könnte so schön sein. Spion, Söldner, Rechtsanwalt und US-Präsident schafften es trotz großartiger Serien nicht auf meine Liste der Traumberufe.

Da rangiert immer noch Journalistin on top. Gut, dass Plan B sich umsetzen lässt, sonst hätten wohl doch “Ray Donovan”, “Scandal” und “How to get away with murder” starken Einfluss auf die Berufswahl genommen – das wäre gar nicht gut.

Netflix, dich werde ich vermissen, ab Oktober kann ich eigentlich das Abo kündigen. Ich hab’s eh leer geguckt.

Echte Menschen sind auch nicht schlecht

Mein Learning aus den letzten Monaten nach dem Jobverlust: Austausch mit echten Menschen ist wichtig. Professionelles Coaching kann weh tun, aber bringt einen weiter und hilft das eigene Potenzial zu entdecken, allerdings muss man bereit sein, sich darauf einzulassen.

Aktueller Lesetipp

Und weil Sterling, Cooper & Partner (Mad Men) manchmal ganz schön böse sind, passt der Beitrag von Nico Kunkel in medienrot.de ganz wunderbar – und ja, ich weiß, dass meine Filmhelden vor allem Werbung machen. Tröstliches aus Nico Kunkels Artikel: „Nicht für wen Sie arbeiten, ist böse, sondern vor allem wie“: Wie böse ist PR?